Vier Menschen, vier Geschäfte, vier Schicksale: Wie Ostschweizer Unternehmer die Krise bewältigen

Jetzt, da die zweite Welle übers Land rollt, haben wir mit vier Ostschweizer Gewerblern gesprochen. Und Menschen angetroffen, die trotz Krise die Hoffnung nicht verlieren wollen.

Michael Sarbach, Programmchef im Gare de Lion in Wil: «Der letzte Zwick an der Geissel»

Dienstagnachmittag, Gare de Lion, Wil. Ein Wochenende ist vergangen, seit die St.Galler Regierung die Coronamassnahmen massiv verschärft hat. Doch der Schock sitzt immer noch tief. Tanzverbot, Konsumation nur im Sitzen, Maskenpflicht – die neuen Regelungen treffen ein Kulturlokal wie das Gare de Lion in seinem Herz. In abgewetzten Sesseln in einer kleinen Bar im ersten Stock sitzen die drei einzigen festangestellten Mitarbeitenden des Betriebs: Michael Sarbach, Programm und Medien, Anaïs Niedermann, Personal und Finanzen, und Oliver Wiesendanger, Infrastruktur. Sie alle sind zu vierzig Prozent angestellt, am Dienstagnachmittag trifft man sich, bespricht, entscheidet. Hält man den Betrieb aufrecht, trotz der Massnahmen?

Und es sind schwierige Entscheidungen, die zu treffen sind. Entscheidungen, welche die Zukunft des Gare de Lions bestimmen. Entscheidung, die wegen äusseren Umständen getroffen werden müssen. 

Mediensprecher Michael Sarbach ergreift das Wort: «Wir haben selbstverständlich damit gerechnet, dass auch im Kanton St.Gallen eine Maskenpflicht eingeführt wird. Doch das Tanzverbot und die Regelung, nur noch im Sitzen konsumieren zu dürfen, haben uns völlig überfahren.» Im Gegensatz zu anderen Kulturinstitutionen finanziert sich das Gare de Lion weitgehend selbst. Die Beiträge von Gönnern, Sponsoren, Stadt und Kanton decken die eventunabhängigen Fixkosten nicht. 

«Wir sind auf Partys angewiesen. Mit einem Tanzverbot können keine Partys durchgeführt werden. Unsere Haupteinnahmequelle fällt damit weg.»

Die Situation lähmt nicht nur finanziell. «Mein Job ist es, ein attraktives Kulturprogramm zu organisieren. In diesem Jahr bin ich mit sehr vielen Absagen, Umbuchungen und Verschiebungen beschäftigt, was einerseits einen enormen Mehraufwand bedeutet, andererseits auch keine Freude macht.»

Einschneidender Lockdown, Zuversicht im Sommer

Der Lockdown im Frühling kam abrupt wie der Schlag eines Schwergewichtsboxers, alle Konzerte, Kleinkunstanlässe und Partys waren abgesagt, die Mitarbeiter auf Kurzarbeit, bescheidene Ausfallentschädigungen flossen. Doch in den Sommermonaten ging es wieder aufwärts. Die Fallzahlen tief, die Leute ausgehfreudig, eine Sommerbar vor dem Gare de Lion lockte. Farbige Fähnchen vor dem Kulturlokal zeugen von kühlen Bieren, lauen Sommerabenden, Zuversicht. Jetzt flattern sie im Herbstwind. Die Zuversicht ist dahin. Die neuen Massnahmen, zwei Wochen nach der Wiedereröffnung, sind wie der nächste Schlag. 

Wie weiter, Gare de Lion? «Nach den Ausfällen im Frühling sind die Massnahmen jetzt der letzte Zwick an der Geissel», sagt Sarbach. Die Strategie: Kurzarbeit, Ausfallentschädigung und keine Veranstaltungen mit finanziellem Risiko. Aber kann das Kulturlokal überleben? Sarbach überlegt kurz. Bislang habe man noch keinen Kredit aufnehmen müssen. Und damit liesse sich einiges verzögern. 

«Klar ist: Ohne zusätzliche finanzielle Hilfe sind wir zahlungsunfähig. Vermutlich noch vor dem Jahresende.»

Die Ausfallentschädigungen des Kantons seien ein wertvoller Beitrag, würden das Gare de Lion aber nicht vor der Insolvenz retten. Der Vorstand hofft auf Hilfe der Stadt oder zinslose Darlehen von Geschäftspartnern. Am Abend ist schliesslich auch klar: Das Gare de Lion sagt alle Veranstaltungen bis Ende Jahr ab. «Unter diesen Umständen kann der Betrieb nicht aufrecht erhalten werden», heisst es auf der Website. «Abgesagt» prangt vor angekündigten Anlässen im Programm.

Tagblatt, David Grob, 26.10.2020, Ganzer Artikel

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