«Wenn Wil die ganzen 65 Millionen Franken selbst stemmen müsste, würde es schwierig»: Reaktionen auf den neuen Wiler Bahnhofplatz überraschen

Auch wenn das Wiler Stadtparlament – und danach das Stimmvolk – erst 2026 über den Baukredit für das Millionen-Projekt entscheiden muss, zeichnet sich bei den Parteien bereits eine klare Tendenz ab.

Wenn er frei wählen könnte, hätte der Wiler Stadtrat den Bericht und Antrag zum 64,5-Millionen-Franken-Kredit für die Umgestaltung des Bahnhofplatzes und der Allee wohl kaum gerade jetzt vorgelegt. Zu sehr wird der politische Diskurs in der Äbtestadt derzeit von der schlechten Finanzlage dominiert. Erst im Juli präsentierte der Stadtrat ein drei Millionen Franken schweres Entlastungspaket und Ende September kündigte Stadtpräsident Hans Mäder im Rahmen der Budgetvorstellung an, für 2026 eine Steuerfusserhöhung um sechs Prozentpunkte zu beantragen.

Daher wäre es nicht erstaunlich, würden einige der Fraktionen im Stadtparlament das Preisschild des Megaprojekts scharf kritisieren, über das sie zwischen März und Juni 2026 befinden müssen, ehe im September das Wiler Stimmvolk das letzte Wort hat. Doch eine erste Umfrage bei den Fraktionspräsidenten zeigt: Mitte/EVP, SP, FDP/GLP und Grüne Prowil stehen dem Vorhaben grundsätzlich positiv gegenüber. SVP-Fraktionschef Benjamin Büsser möchte sich erst vertieft informieren und verzichtet derzeit auf einen Kommentar. Im Vorfeld der nächsten Parlamentssitzung vom 6. November gibt es für die 40 Mitglieder eine Infoveranstaltung der Stadt. Eine für die Bevölkerung folgt am 17. November um 19.30 Uhr in der Aula Lindenhof.

28 Millionen von Dritten sind weniger als gedacht

«Der Kreditantrag kommt zu einem besonders dummen Zeitpunkt», sagt Michael Sarbach von den Grünen Prowil. Doch er hält auch fest: «Wichtige Zukunftsprojekte wie dieses hier darf man nicht in falscher Panik auf später verschieben oder kaputtsparen. Die Kosten sind hoch, aber vertretbar.» Dabei gilt es zu wissen, dass Wil vom Bruttokredit über 64,5 Millionen Franken voraussichtlich «nur» 36,2 Millionen Franken selbst zahlen muss. Dies, da rund 28 Millionen Franken von Dritten übernommen werden – darunter 18,5 Millionen vom Bund, 4,75 Millionen vom Kanton und 3,6 Millionen Franken von den Appenzeller Bahnen.

«Wenn Wil die ganzen 65 Millionen Franken selbst stemmen müsste, würde es schwierig», sagt Christof Kälin von der SP, der vorerst seine persönliche Meinung wiedergibt. Er zeigt sich vom Preisschild nicht überrascht. Schon bei der Projektierung 2020 ging man von Gesamtkosten von 58 Millionen Franken aus, bei einem städtischen Anteil von 23,5 Millionen. Dort lag die Kostengenauigkeit bei +/- 35 Prozent, jetzt wird sie mit +/- 15 Prozent angegeben.

So betrachtet sind die Beiträge Dritter geringer als damals prognostiziert. «Auch 28 Millionen sind ein stolzer Betrag, aber ich hatte doch etwas mehr erwartet», sagt deshalb Reto Gehrig, Präsident der Mitte/EVP-Fraktion. Sarbach wird konkreter: «Der Beitrag der SBB von 100’000 Franken wirkt schon sehr gering. Das Unternehmen ist schliesslich die Hauptnutzniesserin des ganzen Projektes.» Immerhin: Im Bericht des Stadtrates steht dazu: «Die Stadt hat mit den SBB Verhandlungen aufgenommen, um höhere Beiträge seitens SBB einzufordern.»

Mehrere Teilprojekte in einem Paket vereint

Auch Adrian Bachmann von der FDP/GLP-Fraktion sagt: «Ich gehe davon aus, dass wir grundsätzlich für das Projekt sind.» Überrascht dürfe man von den Kosten nicht sein: «Es muss allen klar sein, dass das hier ein grosser Brocken ist. Es ist eine Investition, die Wil über Jahrzehnte prägen wird.»

Beginnend 2029 und mit einer Bauzeit von fünf Jahren ist das Projekt in mehrere Phasen aufgeteilt: Zuerst wird die Endhaltestelle des Frauenfeld-Wil-Bähnlis abgebrochen und 85 Meter nach Westen verschoben. Danach wird eine unterirdische Veloparkierung auf der Westseite sowie der westliche Teil des Bahnhofplatzes und des neuen Bushofs gebaut. Dann folgt der östliche Teil und die dortige Veloparkierung. Zuletzt soll der Bushof in Betrieb genommen und die Obere Bahnhofstrasse/Allee erneuert werden (diese Zeitung berichtete).

Dass der Stadtrat mehrere Teilprojekte zu einem Paket vereint, über das gesamthaft abgestimmt wird, macht es schwieriger, ein unliebsames Element zu streichen. Gehrig betont: «In diesem Fall macht es aber Sinn, da die einzelnen Bestandteile zusammengehören und es als Gesamtkonzept funktioniert.» Bachmann sieht es ähnlich: «Würde etwa auf die Verschiebung des Frauenfeld-Wil-Bähnlis verzichtet, fehlte der Platz für den grösseren Bushof.»

Bis zu neuem Projekt könnten Jahrzehnte vergehen

Kälin erinnert daran, dass die einzelnen Bestandteile des Projekts dem Parlament bereits seit der Projektierung bekannt sind: «Damals haben wir mit diesem Wissen den Kredit gesprochen: Wer A sagt, muss nun auch B sagen.» Einig sind sich auch alle vier Befragten, dass die Umgestaltung des Bahnhofplatzes und der Allee nicht bloss «nice to have» sind. «Es ist ein Generationenprojekt, das Tor zu unserer Stadt endlich aufzuwerten», sagt Sarbach. Der Bedarf nach mehr Raum für Busse und Velos sei nachgewiesen. Für die Grünen Prowil sei zudem wichtig, dass dem ökologischen Aspekt mit einer Photovoltaikanlage auf dem Bushof-Dach und Begrünungen im Sinne einer «Schwammstadt» Rechnung getragen wurde.

Kälin sagt: «Der Bahnhofplatz, wie wir ihn heute kennen, wurde 1993 eingeweiht. Seither haben sich die Bedingungen und Bedürfnisse stark verändert.» Und Gehrig warnt davor, den Bruttokredit abzulehnen: «Dann werden wir über Jahrzehnte mit dem heutigen Bahnhofplatz leben müssen. Es ist für mich undenkbar, dass nach einem Nein schnell ein neues Projekt aufgegleist werden kann.» Zur Einordnung: Das heutige Projekt hat seine Anfänge im Jahr 2011.

Sieht es mit der Zustimmung des Stadtparlaments aufgrund dieser ersten Reaktionen gut aus, dürfte entscheidend sein, wie die Wilerinnen und Wiler im Herbst 2026 abstimmen. Zwangsläufig werden Erinnerungen an den 26-Millionen-Neubau des Wiler Werkhofs wach, der Ende 2024 an der Urne Schiffbruch erlitt – trotz grossmehrheitlicher Unterstützung durch das Parlament. «Es ist wichtig, dass sich das Szenario nicht wiederholt», warnt Sarbach. Kälin ist derweil zuversichtlich: «Den Bahnhofplatz kann man mit dem Werkhof nicht vergleichen. Bei Letzterem ging es um die Verbesserung interner Abläufe, beim Bahnhofplatz wird jede Wilerin und jeder Wiler die Aufwertung viel direkter spüren und davon profitieren.»

Ist eine temporäre Steuererhöhung nötig?

Auch das Wiler Departement für Bau, Umwelt und Verkehr (BUV) hebt auf Nachfrage dieser Zeitung die Notwendigkeit des Projektes hervor: «Es geht um die komplette Erneuerung einer nicht mehr ausreichenden Infrastruktur hin zu einer komplexen Verkehrsdrehscheibe: neuer Bushof, barrierefreie Perrons, moderne Velostation, neue Leitungen, Entwässerung, klimaresistente Bäume, bessere Aufenthaltsqualität.» Heute habe nicht nur der Busbahnhof zu wenig Kapazitäten, auch komme es zu gefährlichen Situationen, weil sich Busse, Velos, Autos und Fussgänger auf engem Raum kreuzen. Bei der Allee wiederum blieben heute Busse im Stau stecken, Fahrbahn und Gehwege seien schmal, viele der Kastanienbäume krank.

Das BUV betont zudem, dass trotz der aktuellen finanziellen Entlastungsmassnahmen Investitionen in die Infrastruktur wichtig seien. Zum städtischen Kostenanteil von 36,2 Millionen Franken hält das Departement kurz und knapp fest: «Dieser Beitrag ist finanziell machbar und durch die Investitionsplanung gesichert.»

Hierzu hat Mitte-Fraktionspräsident Reto Gehrig allerdings eine andere Meinung: «Es sollte jedem klar sein, dass das Projekt wohl eine temporäre Steuererhöhung nötig machen wird.» Als Vorbild nennt Gehrig den Neubau des Sportparks Bergholz, der 2013 einen um fünf Prozentpunkte höheren Steuerfuss nach sich zog. «Das war damals ein Meisterstück an guter Kommunikation, weswegen die Bevölkerung auch klar Ja sagte.»

Quelle: Wiler Zeitung, 3.11.2025, Michael Nittnaus. Bild: zVg.

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